DAHEIM
- Gerry Pikali
- 1. Aug.
- 4 Min. Lesezeit
Lang, grau, kalt, und dunkel ziehen sich schmale Gassen entlang an gerade und rechtwinklig errichteten Gemäuern. Mit kalten Füssen im nasskalten Schnee fühlte es sich für mich dort unbarmherzig dunkel und kalt an. So als spiegelte sich gedanklich mein Leben zwischen gelbem Schnee in einer Pfütze, wo sich kaum mehr als diffuses Grau unseres wolkenbedeckten Himmels zeigte.
Jedoch nur wenn man's denn selbst so will! Nur wenn man denn selbst diese unbarmherzige Dunkelheit und Kälte in sich selbst einkehren lässt! Nur wenn man denn so in selbstgefälliger, selbstbehäbiger Idiotie hier ausharrt statt weiter zu ziehen, revoltiere ich. Statt wie Forellen im Kanal flussaufwärts zu schwimmen und fern über Felsen und Steine aufm Weg zu klettern! Statt sich sein Leben selbst so lang, so grau, so kalt, und so nass zu reden, brach's aus mir heraus. Statt uns im Trübsal dieser Gassen zu verlieren, stattdessen ermöglichen uns diese uns zu entfliehen hin in Süden. Denn wenn's uns Schwalben doch vormachen, jeden Spätsommer wenn uns dunkle und noch dunklere Tage einhüllen, weswegen folgen wir ihnen denn nicht nach, fragte trotzend nach ohne jegliche kritische Antworten zuzulassen. Gen Süden, wo in lauer Winterwärme alles wie zum Leben erwacht, bewarb ich. Wo Duft vom Blühen von Pflanzen uns mit erweckt, wo wir mit anmutenden Kulissen voller prächtiger Farben strahlen, wo wir angenehmes Sonnenlicht finden, lockte ich.
So zog's mich fort als grüner Junge, wie von selbst, mit all' jenen von hier hinüber, wo mir es fürs Leben besser erschien, reicher an Eindrücken und Begegnungen und alles samt und sonders in prächtigere Farbe getaucht. Meine Mutter, durch nassen Schnee entlang an geraden und rechtwinklig errichteten Gemäuern watend, nahm ich dann wie besinnungslos wahr, besonders wenn sie murmelnd ihr Leben beschimpfte ohne dabei von irgendjemandem ausser mir Gehör zu finden. Statt sich an ihren Gatten zu halten, über den ich kaum mehr wusste als seinen Namen und den ich, wie scheinbar alle um mich herum, kaum recht begreifen konnte, weswegen und warum er sich auf immer so ähnlich oder gar identisch auf Bahnen um seine eigene Achse drehte. Runden zur Arbeit, die er teils sehr liebte, und manches anderes, das er zutiefst hasste und theatralisch verabscheute. Meine Mutter hielt sich an mich statt an ihn, empfand ich ihr gegenüber plötzlich mit Gefühlen voller starkem Ressentiment. Denn wenn sie sich so an mich, dann hielt sie mich so an eine Welt, an welche ich mich selbst so wenig halten wollte.
Schön ist's hier mit dir im nasskalten Schnee zu waten, zwischen gerade und rechtwinklig errichteten Gemäuer, berichtigte ich mich selbst. Zwitschernd. Ironisch. Nicht weil ich's so empfand sondern um scheinbar meine Mutter zu erwärmen in ihrer unbarmherzig dunklen und kalten Welt. Ums diffuse Grau schwieriger Gefühlswelten zu erhellen, bis sie mich jeweils müde anlächelte. Oder um mich selbst zu erwärmen an diesem Lächeln.
Nur sarkastisch lächelte mich meine Mutter in solchen Momenten an, empörte ich mich später. So als ob ich ihre Welt gar nicht hätte schönreden müssen, als ob wir's auch so ausgehalten hätten, grübelte ich plötzlich über unser Leben. Griesgrämig. Damals war's als sich ihre Hand plötzlich löste und ich mich befreit wieder fand mit allen erdenkbar möglichen Türen und Toren offen vor mir. Fast wie von Sinnen frei wie ein Vogel fand ich mich; befreit von Pflichten und Verpflichtungen, für welche ich einst in ihrer Gegenwart aufgekommen war und mich nun entziehen konnte. Gleichzeitig erschienen mir mit eben jenem Augenblick unsere schmalen Gassen an geraden und rechtwinklig errichteten Gemäuern kaum mehr so gerade und rechtwinklig errichtet und auch kaum noch so lang, so grau, so kalt und so dunkel wie je zuvor. Und auch nicht dass ich existierte mit all dem um mich herum wie zuvor, wo ich mich bisher so klein gedrückt und so sehr eingeengt empfand um eigene Runden zu drehen, von welchen wie dereinst im Anblick meines Vaters, ausser mir kaum jemand so recht begriff, weswegen und warum ich mich auf immer so ähnlich oder gar identisch auf Bahnen um meine eigene Achse drehte.
Ob ich mich selbst nun doch ansiedeln sollte, hier vor Ort, oder besser hin auf karge Böden gen Süden umzusiedeln? Einem Entfliehen ähnlich oder identisch stellte ich's mir längst nicht mehr vor gen Süden zu ziehen wie Schwalben im Herbst. Wenn mich jedoch in wenigen Momenten selbst Unentschlossenheit erfüllte, wenn mich denn plötzlich händeringend vor mir selbst fand, wenn ich mich denn mit mir selbst eröffneten Fragen hinterfragte, mich selbst ins gedankliche, diffusen Grau schwieriger Gefühlswelten stiess, dann brauste ich auf, empört über mich selbst. Revoltierend vor mir selbst schimpfend herlaufend mich selbst beschimpfend und über mich schimpfend, wie im gelben, nassen Schnee. Nur, kaum sehr viel anders als dereinst meine Mutter mit mir in ihrer Hand. Oder, doch irgendwie anders?
Meiner selbst beschämt und zugleich erschöpft liess ich mich nieder, um in mich selbst hinein zu horchen um nun in mir selbst jenen Mut, jene frohlockenden grossen Hoffnungen und feurige Liebe zu finden. Hineinhorchte und hinhörte wie dereinst als grüner Junge meiner Mutter, für welche ich wie für mich selbst meine ganze Liebe und Aufmerksamkeit wie umsonst hingab um nun diese nun von Welten um mich herum wie ein Geschenk zurück zu bekommen; um wissen zu können, wohin's mich selbst am meisten zog, zu wem ich wirklich am allermeisten gehörte, und, zu guter letzt, wer ich war um zu demjenigen zu werden, den ich wirklich am allerbesten sein konnte.
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